KI und UX-Design im Reality-Check

KI verändert die Arbeit von UX-Designer:innen radikal: Prozesse, die früher Wochen dauerten, entstehen heute in Minuten. Gewohnte Rituale wie Wireframes oder Personas wirken plötzlich altmodisch. Der Reality-Check zeigt: UX-Designer:innen müssen Wirkung über Artefakte stellen – sonst überrollt sie die Geschwindigkeit.

Darum geht’s in diesem Beitrag

  • Wie KI die alten UX-Rituale entlarvt – von Wireframes bis Personas.
  • Warum Geschwindigkeit allein kein gutes Nutzererlebnis garantiert.
  • Wo KI im Bereich Research hilft und wo sie echte Gespräche nicht ersetzen kann.
  • Was Designsysteme verlieren, wenn sie sich nicht weiterentwickeln.
  • Welche neue Rolle UX-Designer:innen übernehmen müssen.

Schauspiel für Stakeholder

UX-Design war lange ein Tätigkeitsfeld voller Rituale: Personas, Journey Maps, Wireframes – alles Werkzeuge, die mehr über unsere eigenen Annahmen aussagen als über echte Nutzer:innen. Lange haben wir diese Artefakte gepflegt, als wären sie Wahrheiten. In Wirklichkeit waren sie in erster Linie eins: Ein Schauspiel für Stakeholder: hübsch anzusehen, aber häufig weit weg vom echten Leben.

Jetzt kommt KI. Und plötzlich fällt der Vorhang. Was bleibt, ist die Frage: Was macht UX-Design eigentlich aus, wenn Maschinen vieles schneller, billiger und oftmals sogar besser erledigen können als der Mensch?

Geschwindigkeit als neue Währung

KI-gestützte Tools übersetzen Ideen direkt in klickbare Interfaces. Wer noch drei Wochen für Wireframes braucht, verteidigt nicht Qualität, sondern Bequemlichkeit. Und oft steckt dahinter mehr als nur Prozess-Trägheit: Manche UX-Designer:innen sträuben sich gegen KI, weil sie sich daran gewöhnt haben, dass nur sie alleine Figma wirklich beherrschen. Das Tool wird zur Eintrittsbarriere – ein Schutzraum, in dem Expertise mit Exklusivität verwechselt wird.

Doch KI hebelt diese Barriere aus. Plötzlich kann jeder mit einem Prompt ein Interface generieren. Das ist unbequem – aber auch befreiend. UX-Designer:innen müssen lernen, mit dieser neuen Geschwindigkeit umzugehen. Das bedeutet: weniger Fokus auf Artefakte, mehr Fokus auf Wirkung.

Research im Maschinenraum

KI kann Interviews transkribieren, Muster erkennen, sogar vollständig Gesprächspartner:innen simulieren. Das klingt effizient – und ist es in vielen Fällen auch. Aber dennoch lauert hier eine große Gefahr: Wir verwechseln Datenmodelle mit echten Menschen.

Empathie lässt sich nicht outsourcen. KI ist der Maschinenraum, nicht das Deck. Sie kann uns helfen, schneller zu verstehen, wo Muster liegen. Aber sie ersetzt noch nicht das Gespräch mit echten Nutzer:innen, die widersprüchlich, unlogisch und manchmal unbequem sind. Genau diese Unbequemlichkeit macht UX wertvoll.

Designsysteme unter Strom

Designsysteme waren bisher Sammlungen von Regeln: Farben, Abstände, Komponenten. Sie gaben Sicherheit, weil sie Ordnung schufen – und weil sie die Illusion vermittelten, dass Konsistenz allein Qualität bedeutet.

Doch KI sprengt diese Logik. Warum?

  • Varianten statt Regeln: KI generiert in Sekunden unzählige Layouts, Farbvarianten und Komponentenkombinationen. Das stellt die Grundannahme infrage, dass ein System nur durch feste Vorgaben konsistent bleibt.
  • Optimierung in Echtzeit: KI kann automatisch testen, welche Variante besser funktioniert – nicht nur optisch, sondern auch im Verhalten der Nutzer:innen. Damit wird Konsistenz nicht mehr durch starre Guidelines gesichert, sondern durch kontinuierliches Feedback.
  • Demokratisierung des Zugangs: Früher war das Designsystem ein Werkzeugkasten für Eingeweihte. KI macht ihn für alle zugänglich – auch für Nicht-Designer:innen. Das entzieht dem System seine Gatekeeper-Funktion.
  • Flexibilität statt Dogma: KI zeigt, dass Konsistenz nicht bedeutet, überall dieselbe Komponente zu verwenden, sondern überall dieselbe Wirkung zu erzielen. Das zwingt Teams, Dogmen loszulassen und sich auf Ergebnisse zu konzentrieren.

Die Folge: Konsistenz entsteht nicht mehr durch das Befolgen von Regeln, sondern durch Feedback-Loops und die ständige Überprüfung der Wirkung. Das ist unbequem für alle, die sich an starre Kontrolle klammern – aber befreiend für alle, die echte Ergebnisse sehen wollen.

Verantwortung statt Output

KI macht Designer:innen schneller, aber nicht automatisch besser. Wer blind vertraut, produziert Interfaces, die perfekt aussehen und trotzdem scheitern. Und ehrlich gesagt: Das war auch schon vor KI so. Auch früher entstanden Designs, die formal sauber wirkten – mit perfekten Wireframes, Pixelgenauigkeit und konsistenten Komponenten – und trotzdem an den Nutzer:innen vorbeigingen. KI verstärkt nur ein altes Muster: Geschwindigkeit ersetzt nicht automatisch Wirkung.

Die eigentliche Aufgabe bleibt: Wirkung prüfen, nicht Output feiern. UX-Designer:innen müssen stärker als je zuvor die Rolle der kritischen Instanz einnehmen – nicht gegen KI, sondern gegen die Versuchung, Effizienz mit Qualität zu verwechseln.

Identität im Umbruch

Der eigentliche Umbruch liegt nicht in den Tools, sondern im Berufsbild.

  • Früher: UX-Designer:innen galten als Übersetzer zwischen Business und Nutzer.
  • Heute: UX-Designer:innen sind die Lotsen, die den Kurs halten, während KI unzählige Design-Optionen ins Spiel bringt.
  • Morgen: UX-Designer.innen als Verantwortliche für Wirkung, Ethik und Kontext.

Das Berufsbild verschiebt sich: In Zukunft sind UX-Designer:innen nicht mehr nur Gestalter von Interfaces. Sie tragen Verantwortung dafür, welche Wirkung ein Produkt auf Menschen hat, ob es fair und ethisch eingesetzt wird und ob es im richtigen Kontext funktioniert. Kurz: Sie entscheiden nicht nur über Buttons und Layouts, sondern über Vertrauen und Relevanz. Wer das nicht akzeptiert, wird vermutlich von der Geschwindigkeit der Tools überrollt werden.

Fazit: KI ist der Reality-Check

Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber aktuell ist KI kein Ersatz für UX-Designer:innen. Sie ist lediglich der Reality-Check, der zeigt, wie viel Ballast wir uns selbst geschaffen haben. Wer Wirkung über Theorie stellt, erkennt: KI ist nicht die Bedrohung, sondern die Chance, endlich das zu tun, was UX verspricht – echte Nutzererlebnisse gestalten.

Wer hat's geschrieben?

  • Christoph
    UX-Designer

    Christoph ist UX-Professional mit über 25 Jahren Erfahrung. Bei der Haufe Group verantwortet er mit seinen Kolleg:innen die UX der Cloud-Software Lexware Office. Praxisnah, direkt und nutzerzentriert hat er keine Geduld für Dogmen. In seinen Texten betont er: UX bedeutet Wirkung, nicht Selbstbespiegelung. Er kämpft für Klarheit, bricht Regeln, wenn sie hinderlich sind, und zeigt: Gute Produkte entstehen nicht durch Konsens, sondern durch mutige Entscheidungen.

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