Darum geht’s in diesem Beitrag
- Was ein Design-System wirklich ist – von Farben und Typografie bis hin zu Code-Bibliotheken.
- Die großen Versprechen der Theorie – Konsistenz, Effizienz und Skalierbarkeit im Designprozess.
- Wo Design-Systeme glänzen – Praxisbeispiele, in denen sie Teams entlasten und Ordnung schaffen.
- Wo sie scheitern – Szenarien, in denen Design-Systeme Kreativität blockieren oder zum Hindernis werden.
- Kritische Fragen für die Praxis – wie man verhindert, dass das System zum Dogma wird und den Nutzer:innen schadet.
Was ist eigentlich ein Design-System?
Ein Design-System ist eine zentrale Sammlung von Regeln, Komponenten und Mustern, die die Gestaltung und Entwicklung digitaler Produkte vereinheitlichen soll. Es umfasst typischerweise:
- Visuelle Grundlagen: Farbpaletten, Typografie, Abstände, Raster …
- UI-Komponenten: Buttons, Formularelemente, Navigation, Karten …
- Interaktionsmuster: Zustände, Animationen, Feedback-Mechanismen …
- Dokumentation: Guidelines, Beispiele, Best Practices …
- Technische Implementierung: Code-Bibliotheken oder Frameworks, die direkt in der Entwicklung genutzt werden können …
Ziel und Nutzen von Design-Systemen
In der Theorie versprechen Design-Systeme vor allem Klarheit, Effizienz und Konsistenz. Sie sollen sicherstellen, dass digitale Produkte unabhängig von Teamgröße, Projektphase oder Endgerät ein einheitliches Erscheinungsbild haben.
Durch die Wiederverwendung von Komponenten wird nicht nur Zeit gespart, sondern auch die Gefahr von Inkonsistenzen reduziert. Entwickler:innen können auf geprüfte Bausteine zurückgreifen, Designer:innen müssen nicht jedes Element neu erfinden, und Produktteams profitieren von einer gemeinsamen Sprache, die Missverständnisse minimiert. Darüber hinaus erleichtern Design-Systeme die Skalierung: Neue Features oder Plattformen lassen sich schneller integrieren, weil die grundlegenden Muster bereits definiert sind.
Lehrbuchhaft betrachtet sind sie also ein strategisches Fundament, das Ordnung in komplexe Prozesse bringt, die Zusammenarbeit zwischen Disziplinen verbessert und die Qualität für Nutzer:innen langfristig sichert.
Die Schattenseiten
Design-Systeme können Teams entlasten und die Qualität sichern. Aber sie bergen auch Risiken, wenn sie zu starr oder selbstzweckhaft eingesetzt werden.
- Standardisierung vs. Kreativität: Sie reduzieren Routinearbeit, können aber auch Innovation ersticken, wenn jede Abweichung als Regelbruch gilt.
- Dogma statt Werkzeug: Manche Organisationen behandeln Design-Systeme wie ein Gesetzbuch. Statt als flexibles Werkzeug werden sie zum Korsett, das Designer:innen einschränkt.
- Pflegeaufwand: Ein Design-System ist ein lebendiges Artefakt. Ohne kontinuierliche Pflege und Weiterentwicklung veraltet es schnell und wird selbst zum Hindernis.
- User Impact vs. interne Ordnung: Allzu oft wird das System zum Selbstzweck. Teams optimieren Komponenten für interne Konsistenz, statt sich zu fragen, ob die Nutzer:innen tatsächlich profitieren.
Praxisbeispiele – wo Design-Systeme helfen
- Fall 1: Ein E-Commerce-Unternehmen mit mehreren Marken Das Team betreut drei Online-Shops mit unterschiedlichen Zielgruppen. Dank eines zentralen Design-Systems können Buttons, Formulare und Checkout-Flows konsistent gestaltet und entwickelt werden. Das spart Zeit, reduziert Fehler und sorgt für ein einheitliches Nutzererlebnis.
- Fall 2: Ein internationales Produktteam Designer:innen und Entwickler:innen arbeiten verteilt über verschiedene Länder. Das Design-System dient als gemeinsame Sprache und verhindert Missverständnisse. Neue Teammitglieder können schneller einsteigen, weil die Regeln klar dokumentiert sind.
Praxisbeispiele – wo Design-Systeme nicht helfen
- Fall 3: Ein Start-up mit radikal neuer Produktidee Das Team möchte ein völlig neuartiges Interface entwickeln, das bewusst mit gängigen Mustern bricht. Ein bestehendes Design-System würde hier eher blockieren, weil es Innovation auf bekannte Komponenten reduziert.
- Fall 4: Ein Unternehmen mit veralteten Prozessen Das Design-System ist zwar vorhanden, wird aber nicht gepflegt. Entwickler:innen greifen auf alte Komponenten zurück, die nicht mehr zu den aktuellen Nutzerbedürfnissen passen. Das System schafft mehr Probleme als es löst.
- Fall 5: Ein Projekt mit starkem Fokus auf Storytelling Ein Magazin möchte ein visuell einzigartiges Erlebnis schaffen. Ein starres Design-System würde die kreative Freiheit einschränken und die Gestaltung uniform wirken lassen – genau das Gegenteil des gewünschten Effekts.
Kritische Fragen
Wer ein Design-System einführt, sollte sich nicht nur von der Idee der Konsistenz leiten lassen, sondern auch folgende Fragen stellen:
- Dient das System den Nutzer:innen – oder nur der Organisation?
- Fördert es mutige Entscheidungen – oder verhindert es diese?
- Wird es aktiv gepflegt und weiterentwickelt – oder ist es ein statisches Archiv?
Das wichtigste zum Mitnehmen
Design-Systeme sind mächtige Werkzeuge, aber kein Allheilmittel. Sie können Teams entlasten und Produkte konsistenter machen – oder sie können zu einem Dogma werden, das echte Nutzerbedürfnisse überlagert. Entscheidend ist nicht, ob man ein Design-System hat, sondern wie man es nutzt: als lebendiges Werkzeug, das sich den Menschen und ihren Bedürfnissen unterordnet.

